Nur wenige Tausend Männer, Frauen und Kinder von den annähernd 30 000 Sinti, die vor 1933 in Deutschland und Österreich ansässig waren, überlebten den Holocaust. Allein aus Niedersachsen hatten die Nationalsozialisten seit 1940 rund 1000 „Zigeuner und Zigeunermischlinge“ deportiert. Weniger als 100 von ihnen waren bei der Befreiung in Bergen-Belsen durch britische Einheiten noch am Leben.
Nach der Liquidation des „Zigeunerlagers“ in Auschwitz-Birkenau und anderer Lager wie Ravensbrück war Bergen-Belsen Anfang 1945 für rund 1700 Sinti und Roma zur letzten Station ihres Leidenswegs geworden. Die wenigen Überlebenden versuchten nach der Befreiung, in ihre Heimatorte zurück zu kommen. In Bremen, Hannover, Braunschweig, Hildesheim und Oldenburg, aber auch in kleineren Städten wie Nienburg suchten sie nach überlebenden Familienmitgliedern. Obwohl unter dem Schutz der Militärregierung, die ihnen die Anerkennung als Verfolgte des NS-Regimes nicht versagten, wurden sie von den Kommunalbehörden kaum anders behandelt als vor der Deportation. Wieder entstanden Lager, zumeist am Rande der Städte – so auch in Nienburg.
All dies zeigt die – Sinti und Roma in Niedersachsen nach dem Holocaust“, die am Sonntag, 14. August 2011, im Vestibül des Rathauses eröffnet wird. Sie dokumentiert den Nachkriegsalltag einer ausgegrenzten Bevölkerungsgruppe, gekennzeichnet von Diskriminierung, Demütigung und Willkür der Behörden. Wenig überraschend, dass sich viele von ihnen wie Fremde in einem Land fühlten, das ihre Familien seit vielen Generationen als ihre Heimat betrachtet hatten.
Die in Hannover erstellte Wanderausstellung wird durch in Nienburg erarbeitete Informationen ergänzt. Diese Arbeitsergebnisse sind der Auschwitz-AG der Nordertorschule zu verdanken, die sich seit zwei Jahren kontinuierlich des Themas angenommen hat. Eine Fahrt in das ehemalige Vernichtungslager in Polen wurde bereits 2010 durchgeführt, eine weitere steht in diesem Jahr an. Daneben stellen die Jugendlichen unter Anleitung von Boris Erchenbrecher vom Sinti-Landesverband Tafeln über das Leben der Sinti an der Mittelweser zusammen. Es wird deutlich: den Nationalsozialisten ist es nicht gelungen, das „Volk der Zigeuner“ völlig auszulöschen, wenn auch ihre Kultur und ihre Traditionen schweren Schaden gelitten haben. Die Nienburger Gruppe ist überzeugt: mit einem neuen Selbstbewusstsein werden die Sinti es schaffen, die eigenständige Kultur einer Minderheit in einer Mehrheitsgesellschaft aufrechtzuerhalten. Dazu einen Beitrag zu leisten, ist Sinn der jetzigen Präsentation. Die Ausstellung ist nach der Eröffnung (Sonntag, 14. August, 11:15 Uhr) bis 8. September zu den Öffnungszeiten des Nienburger Rathauses zu sehen. Über die geplanten Begleitveranstaltungen wird gesondert berichtet.
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Alltag der Sinti in Niedersachsen ist Thema der Ausstellung „Fremd im eigenen Land“
Alltag der Sinti in Niedersachsen ist Thema der Ausstellung „Fremd im eigenen Land“
Präsentation im Vestibül des Rathauses wird am 14. 8. eröffnet
„Mein Vater war im Konzentrationslager“, erzählt Angelika Weiss. „Mein Vater und seine ganzen Geschwister. Meine Mutter und ihre ganzen Geschwister.“ In einem Interview zur Ausstellung „Fremd im eigenen Land“ berichtet die Zeitzeugin, wie ihre Familie nach 1945 in Niedersachsen wieder Fuß zu fassen versuchte. Ihre Eltern waren die einzigen Überlebenden ihrer jeweiligen Familien.
Meldung vom 08.08.2011Letzte Aktualisierung: 09.08.2011